Wer darf laut Knigge Du anbieten?

von | 19.09.2012 | Knigge, Rainer Wälde | 6 Kommentare

„Hallo Rainer, wie geht es Dir?“ fragt mich die Mutter eines Schulkameraden. An sich nichts ungewöhnliches. Doch mittlerweile liegt mein Abitur 30 Jahre zurück und mit „Frau Müller“ bin ich immer noch per „Sie“. Doch einfach zurück zu duzen – das passt für mich nicht zum guten Stil.

Wer darf laut Knigge Du anbieten? Diese Frage wird mir bei Seminaren häufig gestellt. Im Privatleben bieten nach wie vor die Dame dem Herrn das freundschaftliche „Du“ an, außerdem der Ältere dem Jüngeren. In der geschilderten Situation bleibt mir nichts anderes übrig, als das „Du“ der älteren Dame einfach zu ignorieren. Korrekt finde ich es, wenn die Eltern von Schulkameraden nach der Schulzeit auf die korrekte Anrede „Frau/Herr“ oder zumindest auf „Sie“ und den Vornamen umstellen, wie dies auch in der Oberstufe üblich ist.

Wer darf laut Knigge im Business das Du anbieten?

Ärgerlich finde ich dagegen das plumpe „Du“ von Vorgesetzten. Ich werde dabei an den Führungsstil eines Verlegers erinnert, der über Jahrzehnte alle Mitarbeiter mit Vornamen ansprach und sich selbst immer mit „Herrn Meier“ anreden ließ. Die Umgangsformen sind in diesem Fall eindeutig:

Grundsätzlich bietet der Kunde dem Dienstleister das „Du“ an, zudem der Chef dem Mitarbeiter. Alter und Geschlecht spielen beim beruflichen „Du-Angebot“ keine Rolle. Natürlich traute sich im Verlag kein Mitarbeiter den Chef zu duzen, das wäre eindeutig ein Verstoß gegen die Business-Etikette. Gleichzeitig finde ich es dreist, wenn der Vorgesetzte seine Rolle überzieht und hier das Fingerspitzengefühl vermissen lässt. Mein Praxis-Tipp: Ein langjähriger Mitarbeiter mit Führungsverantwortung sollte dieses Thema im Vier-Augen-Gespräch mit dem Chef gezielt ansprechen.

Was mache ich, wenn ich das „Du“ nicht möchte?

Natürlich können Sie das freundliche Angebot jederzeit ablehnen. Wichtig scheint mir nur eine kurze Begründung, die für den anderen nachvollziehbar ist: „Herzlichen Dank für das freundliche Angebot – das schätze ich sehr. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich entschieden habe, mit allen Kunden beim „Sie“ zu bleiben – es wird für mich sonst zu komplex.“

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Rainer Wälde

Rainer Wälde liebt es, durch Filme, Bücher und Vorträge seine Zuhörer in ihrer Originalität zu ermutigen.
In seinem wöchentlichen Blog erzählt er ihre Geschichten.

www.rainerwaelde.de

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6 Kommentare

  1. Vielen Dank, liebe Herr Müller für Ihre Frage. Bei einem Verein, der sich auf Freizeitaktivitäten (Sport, Tierzucht, Fotografie) würde ich die Privat-Regeln anwenden: Konkret zu Ihrer Frage heißt das, der Ältere bietet dem Jüngeren das „Du“ an. Ist es dagegen eine Business-Vereinigung, in dem sich Selbständige und Angestellte treffen, um sich gesellschaftlich zu engagieren (Beispiel Service-Clubs) gelten die beruflichen Regeln. In diesem Fall bietet der Vorstand das „Du“ an.
    Herzliche Grüße
    Rainer Wälde

  2. Sehr geehrter Herr Wälde,

    vielen Dank für die aktuelle Übersicht. Mir ist aufgefallen, dass bei diesem Thema immer zwischen „privat“ und „geschäftlich“ unterschieden wird. Können Sie als Experte mir sagen, wo in diesem Schema ein Verein zu verorten ist? Eigentlich ist ein (ehrenamtlich arbeitender) Verein „Privatvergnügen“, andererseits gibt es im Vereinssitz ein Büro und generell herrscht eher „Arbeitsatmosphäre“ als fröhliche Weinseligkeit.

    Konkret: Ich bin Vorstandsmitglied und viele Aktive sind deutlich älter als ich. Im Vorstand sind wir per Du und mit den jüngeren selbstverständlich auch, so dass ich es als sehr befremdlich empfinde, die älteren zu Siezen. Wer sollte hier das Du anbieten?

    Vielen Dank und beste Grüße
    Christopher Müller

  3. Sehr geehrter Herr Wälde,

    ich stelle fest, dass die Lebenswirklichkeit in Deutschland sehr unterschiedlich behandelt wird. In Deutschland gibt es offensichtlich ein Nord-Süd-Gefälle. Im Norden wird wesentlich mehr das „Du“ und das „Sie plus Vornamen“ benutzt als im Süden der Republik.
    Ebenfalls ist mir aufgefallen, dass es im beruflichen Bereich Branchenunterschiede gibt.

    Ich persönlich fühle mich nicht gestört noch besonders geehrt, wenn ich mit einem „Du“ angesprochen werde. Wer mich mit einem „Du“ anspricht hat allerdingst von mir noch nicht gleichzeitig die Erlaubnis, „mein Bier aus meinem Kühlschrank“ zu trinken.

    Im Übrigen gilt es, die gesamte Performance einer Person zur beurteilen. Ich bin Jahrgang 1951.

    Mit freundlichem Gruss aus London.

    Michael Ch D Rabicano

  4. Herzlichen Dank für Ihren persönlichen Kommentar. Ich freue mich genauso wie Sie, wenn mich eine Mutter auch nach 30 Jahren noch erkennt.

    Gleichzeitig empfehle ich allen Eltern, die Schulkameraden ihrer Kinder auch als Erwachsene zu behandeln. Sie können können dann selbst entscheiden – wie Sie – ob ihnen diese Anrede passt oder nicht.

  5. Sehr geehrter Herr Wälde,

    Sie zitierte in Ihrem Beitrag die Mutter eines Klassenkameraden, die Sie geduzt hat und empfinden das als unguten Stil. Das sehe ich völlig anders. Mich freut es regelrecht, wenn ich – bei derartigen Begegnungen – erkannt und noch genauso angeredet werde wie damals. Selbstverständlich Sieze ich dann die inzwischen ältere Dame, genauso wie früher. Das finde ich hat Stil.
    Natürlich empfindet jeder Mensch anders und das gilt es zu akzeptieren.
    Aber ich wollte Ihren Beitrag nicht unkommentiert lassen. Ich bin Jahrgang 56 und inzwischen 3-facher-Opa.

    Mit freundlichem Gruß
    Werner Hantl

  6. Es gibt so viele Informationen, die man im Laufe des Lebens aufgeschnappt hat, ohne das man wirklich ein Gefühl dafür hat, was stimmt heute noch und was ist schon lange überholt.

    Vielen Dank für Ihr aktuelles Update zu diesem heiklen Thema!
    Mit diesem gedanklichen Hintergrund, aus so profunder Feder, fühlt man sich direkt etwas sicherer bei dem nächsten wichtigen Anlass.