Erosion des guten Benehmens – verlieren wir unsere Manieren?

von | 23.10.2023 | Knigge

Neulich stand ich beim Bäcker an der Kasse, als mir ein anderer Kunde auffiel. Er hielt sich doch glatt die Hand vor den Mund, als er gähnte. Ich konnte es kaum glauben – und das meine ich absolut nicht sarkastisch. So oft in den letzten Jahren sehe ich Menschen, die diese Tugend nicht mehr praktizieren. Schade. Sehr schade. Warum verlernen wir grundlegende Formen der Höflichkeit und des Anstandes und wie können wir dem Verlust der guten Manieren entgegenwirken?

Foto: shutterstock

Die Macht der Gewohnheit

Noch ein paar Beispiele, die mir aktuell negativ auffallen: morgens um sieben Uhr an der Kaffeemaschine im Hotel: Ein Gast reckt und streckt sich mit den Armen über dem Kopf und gibt auch noch entsprechende Laute von sich. Der mir entgegenkommende Autofahrer bohrt in der Nase. Ein Fluggast sitzt schräg vor mir in der Reihe und putzt sich mit dem Finger die Ohren aus.

Beim Schreiben dieser Beobachtungen muss ich doch tatsächlich lachen. Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es wirklich zum Lachen. Jemanden auf solches Benehmen hinzuweisen ist eigentlich lächerlich. Diese Dinge lernt man als Kind – oder sollte man als Kind lernen. 

Ich erinnere mich an meine Mutter. Sie sagte oft zu mir, als ich noch ein Mädchen war: „Glaudia, wenn du das daheim machst, dann machst du es auch, wenn du wo anders bist.“ Also, das, was ich tue, wenn niemand mir zusieht, das werde ich auch machen, wenn andere dabei sind. Gähne ich zu Hause immer, ohne mir die Hand vorzuhalten, ist es leicht der Fall, dass ich das auch außer Haus tue. Warum? Ganz einfach: Die Macht der Gewohnheit kommt ins Spiel.

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg

Es wird so viel darüber gesprochen, authentisch zu sein. Wenn es um gutes Benehmen geht, sagen viele: „Ich will so sein, wie ich bin und mich nicht verbiegen.“ Aber mal ehrlich: Ist es ein Verbiegen, wenn ich beim Gähnen meine Hand vor den Mund halte? Gute Manieren dürfen nicht nur Attrappe sein. Sie müssen verinnerlicht werden. Das geschieht durch tägliches Tun. Dann werden sie Teil einer Person, gehören einfach zur Normalität. Das ist dann auch in der Öffentlichkeit authentisch und eben nicht gekünstelt.

Wieder kommt mir die Redewendung in den Sinn: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Doch innerlich sträubt sich etwas in mir. Ich bin überzeugt, wenn ich den eisernen Willen habe, etwas zu lernen oder in meinem Leben zu verändern, dann kann ich das auch. Selbst, wenn ich es als Kind anders gemacht, anders gelernt oder gar nicht gelernt habe, kann ich auch noch im Alter schlechte Angewohnheiten ablegen und mich ändern. Wahrscheinlich ist es etwas schwieriger, aber ich kann es. Wo bekanntlich ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Nun, vielleicht sind manche Höflichkeitsrituale nicht mehr jedem so wichtig. Möglicherweise haben wir sie in den letzten Jahren einfach ein bisschen verlernt. Durch die Corona Lockdowns wäre letzteres eine plausible Erklärung. Wohin geht dann aber unsere Gesellschaft, wenn wir diese Erosion des guten Benehmens einfach akzeptieren? Das will ich mir an dieser Stelle gar nicht erst ausmalen…

Gute Manieren machen etwas mit mir

Ich denke, die Fähigkeit, gute Manieren zu praktizieren ist immer noch da. Wir sind nur faul und nachlässig geworden, haben das Bewusstsein und die Gewohnheit dafür verloren. Dies lässt sich ändern. Ich habe mal gelesen, dass es nur 14 Tage braucht, sich eine neue Angewohnheit zu eigen zu machen. 

Deshalb meine Herausforderung an Sie: Nehmen Sie sich die nächsten zwei Wochen und halten Sie sich beim Gähnen die linke Hand vor den Mund – immer, ganz egal wo Sie sind, ob daheim, unterwegs oder in der Arbeit. Wenn Sie das sowieso schon machen, nehmen Sie sich etwas anderes vor. Umgangsformen gibt es eine ganze Menge. Sie werden erleben, dass dieses gute Benehmen auch etwas mit Ihnen macht. Es fühlt sich einfach gut an. 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie erleben, welche Freude es bringt, einen anderen Kunden an der Kasse zu sehen, der sich die Hand beim Gähnen vor den Mund hält. Verschönern auch Sie mit gutem Benehmen anderen Menschen den Tag. Fangen Sie bewusst damit an. Heute.


Glaudia Chestnut

Glaudia Chestnut hat an der Gutshof Akademie die Ausbildung zum Personal Image Coach (IHK), zur zertifizierten Knigge-Trainerin sowie Wohnberaterin abgeschlossen. Gemeinsam mit ihrem Mann leitet sie das Hotel Inspiration im südostbayerischen Tittmoning. Nach ihrem Motto: manifest your best! unterstützt sie Menschen, sich professionell zu präsentieren.

www.glaudiachestnut.com

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